Von der „Kernstock-Kapelle“ zur Musikkapelle Pöllau
Unser Verein trennte sich in diesem Jahr endgültig vom Namen „Kernstock“. Damit soll ein Zeichen der Toleranz, der Solidarität und der Weltoffenheit gesetzt werden. Danke an alle, die diesen Schritt mitgetragen haben! Namen haben symbolhaften Charakter und schaffen Identifikation. Mit einem Namen sind Assoziationen verbunden, auch wenn diese dem Namensträger nicht bewusst sind. Sich von einem Namen zu trennen, an den man sich über Jahrzehnte gewöhnt hat, ist eine bedeutungsvolle Entscheidung, der ein intensiver und emotionaler Prozess vorausgeht.
Bevor wir die Beweggründe für unsere Namensänderung darlegen, möchten wir noch kurz zurückblicken, wie es im Jahr 1963 zum Namen „Kernstock-Kapelle“ Pöllau gekommen ist: Der Gründer der Kapelle, Karl Weghofer, suchte für die Jugendkapelle, die er seit 1956 sehr erfolgreich geleitet hatte, einen neuen Namen, weil die Musiker dem Jugendalter mittlerweile entwachsen waren. Dabei war es ihm wichtig, einen besonderen Namen zu finden, der sich von den ortsüblichen Bezeichnungen für Blaskapellen unterscheiden sollte. Weghofer stammte aus Festenburg, sein Vater hatte Ottokar Kernstock persönlich gekannt, und so war es für ihn naheliegend, die Kapelle nach dem berühmten Priesterdichter zu benennen. Das deutschnationale Gedankengut Kernstocks war bei dieser Entscheidung wohl nicht bedacht worden. Erst in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts änderte sich die Betrachtung der Geschichte Österreichs zur NS-Zeit, und Kernstock wurde auf Grund seiner Schriften als Wegbereiter des Nationalsozialismus gesehen. Folglich ist auch unser Musikverein immer wieder bezüglich des Namens kritisiert worden, so dass schließlich Überlegungen angestellt wurden, diesen abzulegen. Die wichtigsten Beweggründe hierfür seien hier zusammengefasst angeführt:
- Homepage – Eintragungen („Wie kann ein Orchester, das so hervorragend musiziert, einen solch schrecklichen Namen tragen“ …)
- Konzertkritiken (z.B. nach einem Konzert bei den „ Innsbrucker Promenadenkonzerten“) behandelten mehr die symbolische Bedeutung unseres Namens als die dargebotene Musik.
- Persönliche Angriffe, ob wir denn nicht wüssten, dass Kernstock ein Wegbereiter des Nationalsozialismus sei.
- Diskussionen und Entscheidungen in anderen Gemeinden und Institutionen, sich von diesem Namen zu trennen (Kernstock Plätze, Kernstock Schule usw.)
- Außerdem: Kernstock hat – vom persönlichen Bezug des Gründers der Kapelle abgesehen – keinen Bezug zu Pöllau.
- Das literarische Schaffen Ottokar Kernstocks ist aus heutiger Sicht unbedeutend bzw. nur noch in der rechtsextremen Szene geschätzt.
- Und vor allem: Unser Vereinsleben zeichnet sich durch Toleranz, Weltoffenheit und friedliches Miteinander aus und steht somit im Gegensatz zur Ideologie Kernstocks. Dies zeigt sich auch in der Gestaltung unserer Konzertprogramme. Hier finden sich zeitgenössische österreichische Komponisten genauso wie beispielsweise amerikanische, russische, jüdische, slowenische und deutsche Komponisten.
Wir haben uns zwar (z.B. auf unserer Homepage) vom Gedankengut Kernstocks distanziert, aber der letzte Schritt sich von diesem Namen zu trennen verleiht dieser Distanzierung erst ihre Glaubwürdigkeit. Um diesen Schritt gut vorzubereiten, luden wir Herrn Univ.Prof. Dr. Uwe Baur, den Leiter des Instituts für Literatur im Nationalsozialismus an der Universität Graz ein, uns umfassend und wissenschaftlich fundiert zu informieren. Zuerst fand diese Information im Vorstand und anschließend vor allen Musikerinnen und Musikern statt. Die zusammenfassende Stellungnahme Prof. Baurs ist eindeutig: „Die Benennung nach Ottokar Kernstock (1848-1928) hat symbolischen Wert: Er steht für Kriegshetze, Deutschnationalismus und damit für ein Menschenbild, das mit den Allgemeinen Menschenrechten nicht vereinbar ist, zu denen sich Österreich als Mitglied der UNO und der EU bekennt. Im gegenwärtigen deutschen Sprachraum wird er nur noch von den Rechtsextremen geschätzt. Das Werk Kernstocks ist heute zurecht vergessen, es wird als epigonal dem spätromantischen Münchner Dichterkreis um Viktor Scheffel zugeordnet, welcher der damaligen Gegenwart eine ‚heile Welt‘ des Mittelalters entgegengesetzt hat.“
Nach einer Nachdenkphase und internen Diskussionsrunden fand eine geheime Abstimmung über eine Namensänderung statt, bei der sich eine deutliche Mehrheit (61%) dafür aussprach. Wichtig ist zu erwähnen, dass für die Gegner der Namensänderung der hohe Bekanntheitsgrad unseres Vereins, die Marke „Kernstock-Kapelle“, ein wichtiges Argument gewesen ist und keinesfalls ein deutschnationales Denken! Dies gilt auch für unsere Vorgänger im Vereinsvorstand, die diesen Schritt der Namensänderung nicht gesetzt haben, weil sie einen etablierten und beim Publikum fest verankerten Namen nicht verändern wollten. In weiteren Diskussionen wurde nach einem neuen Namen gesucht, der in einer außerordentlichen Generalversammlung am 23. März 2012 einstimmig beschlossen wurde. Auch der Name „Musikkapelle Pöllau“ hat symbolischen Charakter: Wir haben den belastenden Teil unseres früheren Namen durch das ersetzt, was unsere Gemeinschaft bildet, nämlich die Musik!